Die nicht jüdischen Europäerinnen und Europäer entdecken immer gerne ihr Gerechtigkeitsempfinden, wenn es um Israel geht. Das ist so schön weit weg und so biblisch aufgeladen. Dieser Tage besonders im Schwange: die Rede vom Völkerrecht.
Eine Kolumne von Gerald Beyrodt
Vor einer Woche habe ich unserem Freund Eitan in Tel Aviv geschrieben, dass wir an ihn denken. Ich schaue auf das Handy und sehe, dass ich schon im Oktober geschrieben habe: „Wir denken an Dich“. Was will ich auch jemand auch schreiben, der mit einer Bedrohung lebt und um dessen Leben ich fürchte?
In Deutschland höre ich immerzu dasselbe Wort: Völkerrecht. In einem Video sehe ich eine Journalistin, die viel als Kriegsberichterstatterin arbeitet. Sie sagt: „Ich bin in eine Welt hineingeboren, in der man mir gesagt hat, das Völkerrecht sei nicht verhandelbar.“ Dann zählt sie auf, welche Völkerrechtsverstöße Israel alle begangen haben soll.
Ich google ihren Lebenslauf. Ein Jurastudium oder eines des Völkerrechts ist da nicht zu finden. Und ich denke: Kann ja sein, dass man Dir das gesagt hat, als du Kind warst. Aber war die Welt jemals so, dass alle das Völkerrecht geachtet haben? Ich denke an den Überfall des Iraks auf Kuwait, lange her, ich denke an die Krim, ich denke an den Überfall auf den Rest der Ukraine. Ich denke an China und Tibet.
Mir geht durch den Kopf, dass die Europäer immer gerne ihr Gerechtigkeitsempfinden entdecken, wenn es um Israel geht. Da kann man sich so gut fühlen, und es kostet nichts. Das ist so schön weit weg und irgendwie biblisch aufgeladen. Es gibt so viele andere Länder und Konflikte. Man könnte auch über Gerechtigkeit zu Hause reden.
Mir kommen die nicht jüdischen Europäerinnen und Euorpäer besessen vor von Israel. Und das soll nun nichts mit „der Geschichte“ zu tun haben? denke ich. Jahrhundertelang konnten Juden nur schlecht in Europa leben, wurden aus den Städten vertrieben, ihr Hab und Gut wurde verscherbelt, der Talmud immer wieder verbrannt, sie selbst manchmal auch. Immer wieder Morde und Pogrome. Aber jetzt, wo es ein jüdisches Land gibt, soll alles ganz gerecht zugehen.
Eine Kollegin schreibt auf Social Media zum Iran-Israel-Krieg: „Keiner spricht vom Völkerrecht.“ Ich zähle ihr Gegenbeispiele auf. Sie sagt dies, ich sage das, wir machen Debattenpingpong. Ich vermute, dass es ihr um etwas anderes geht als ums Völkerrecht. Aber das sage ich nicht.
Eitan hat gleich zurückgeschrieben. Er hat geschrieben, diesmal sei die Lage echt ernst. Und er hat geschrieben: Er freut sich auf die Zeit, wo „Wir denken an Dich“ wirklich nur bedeutet: „Wir denken an Dich.“

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