Ein Lied kann eine Brücke sein. Angeblich. Seit Wochen bewegt Israels Eurovision-Beitrag die Kulturnachrichten. Politik ist irgendwie nicht erwünscht in ESC-Liedern. Es gab eine lange Diskussion um Israels Beitrag.
Von Gerald Beyrodt
Wohl wegen der Liedzeile: „Alle Palästinenser gehören plattgemacht.“ Ach nein, die kam gar nicht vor in dem israelischen Beitrag „Oktoberregen“. Aber schon die Überschrift Oktoberregen fanden viele anstößig, weil sie eine Anspielung auf den 7. Oktober sei.
Im Lied ist dann von späteren Historikern die Rede, davon, dass jemand die Sicht auf den Mond verstellt habe. Letzteres ist eigentlich beste Eurovisions-Bildsprache, das mit den Historikern nicht so.
Kann schon sein, dass der Text vage die Gefühle von Israelis nach dem Pogrom benennt. Israelisches Leid ist der Welt offenbar nicht zuzumuten. Jedenfalls nicht bei der Eurovision. Eigentlich auch sonst nicht. Prophetisch muss man die Liedzeile nennen: „Alles ist nur noch schwarz-weiß.“
Denn die Welt scheint in Sachen Israel und Gaza nur noch schwarz und weiß, Opfer und Schurken zu kennen. Und es scheint ausgemacht zu sein, dass die israelische Regierung einem Schurkenstaat vorsteht. Zwei belgische Minister haben den Ausschluss Israels vom ESC gefordert wegen der hohen Opferzahlen in Gaza.
Die belgische Kulturministerin hat gefordert, Israel dürfe erst teilnehmen, wenn es den Menschenrechtsverstößen ein Ende setzt. Zwar untersucht der internationale Gerichtshof erst noch, ob es solche Verstöße gibt, aber die belgische Kulturministerin hat es schon ausgemacht. Vor allem überzeugt sie durch ihr Vertrauen in Popkultur. Konflikte durch ESC-Ausschluss beilegen: darauf muss man erst mal kommen.
Wenn es den ESC und damit das Mittel des ESC-Ausschlusses schon früher gegeben hätte, hätte Belgien vermutlich keinen einzigen Mord in den Kolonien begangen und der Nationalsozialismus wäre im Keim erstickt worden. Der ESC macht einfach alle Menschen zu Schwestern und Brüdern und überhaupt. Das könnte fast aus eine Eurovisionslied sein, ist aber als Aussage zu politisch.
Das Vertrauen in die problemlösende Kraft der Kunst und des Kunst-Cancellings scheint auch in der E-Kultur groß zu sein. Tausende Menschen fordern, Israel von der Biennale in Venedig auszuschließen. Eine Teilnahme des Landes sei wegen der „Gräueltaten in Gaza“ inakzeptabel. Das alles hat ganz sicher nicht mit Antisemitismus zu tun. Und die Tausenden von Menschen haben nur vergessen, die Gräueltaten der Hamas mit anzuprangern, und dass man auch Palästina ausschließen könnte, ist ihnen ganz sicher nur entfallen.
Inzwischen ist der israelische Songtitel in „Hurricaine“ geändert worden. Ob die Kritiker jetzt Ruhe geben? Oder ist die Titeländerung doch nur die Ruhe vor dem Sturm? Wie dem auch sei: die Geschichte zeigt: Deutschland ist nicht mehr das unbeliebteste Land beim ESC. Ein Lied kann eine Brücke sein: zwischen wem auch immer.

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