Immerzu vergleichen die Menschen das Judentum mit dem Christentum. Kann man ja machen, aber auf die Dauer ist das fad. Der Vergleich mit dem Islam ist schon etwas origineller. Hier mal der Vorschlag für einen ganz anderen Vergleich: Judentum und Haarausfall. Eine Glosse.
Von Gerald Beyrodt
Neulich habe ich gelernt, dass sich Judentum genauso vererbt wie Haarausfall: über die Mutter. Das fand ich erstaunlich, denn meist fallen ja Männer durch Glatzen auf.
Gemeint war tatsächlich Haarausfall bei Männern. Eine Journalistenkollegin aus der Wissenschaftsredaktion hat berichtet, ihr Vater habe früh eine Glatze bekommen und ihr Sohn auch. Studien würden auch zeigen, dass sich Haarausfall bei jungen Männern über die Mutter vererbt.
Die Kollegin hat das in einer Videokonferenz erzählt, sie war nicht sehr groß im Bild, aber so weit ich sehen konnte, sah ihr eigener Schopf sehr vollständig aus. Dass sich Judentum über die Mutter vererbt, hat mich nicht weiter erstaunt, das wusste ich. Ich bekomme aber häufig erstaunte Reaktionen, wenn ich das erzähle.
Feministisch bedeutsam?
Dass Frauen die Religion vererben, finden die Menschen feministisch bedeutsam. Es klingt so gar nicht patriarchalisch und männerdominiert. Ich bin mir da nicht sicher: Möglicherweise ist die Vererbung der Religion über die Mutter gerade mal so feministisch bedeutsam wie die Vererbung von Haarausfall.
Denn die jüdische Literatur, der Talmud, der Midrasch oder die „Sprüche der Väter“, sind von Männern dominiert. Ein jüdischer Gottesdienst kann traditionell nur beginnen, wenn zehn jüdische Männer anwesend sind. Wenn hundert Frauen anwesend sind, ist das traditionell gleichgültig.
Der Gottesdienst und die Sprüche den Vätern, die Vererbung des Haarausfalls und der Religion den Müttern. Das heißt: die können wiederum bewirken, dass Söhne Haarausfall bekommen oder dass Söhne oder dass Söhne und Töchter jüdisch werden.
Haarausfall und Judentum haben gemein: Es ist nicht so richtig zu ändern. Man bekommt das in die Wiege gelegt. Christen meinen ja, Religion würde vom Bekenntnis abhängen – davon, dass ich mich dafür oder dagegen entscheide.
Merkwürdigerweise ist weit und breit kein Mensch der Meinung, Haarausfall hänge vom Bekenntnis ab. In Wirklichkeit bekommen auch Christen ihre Religion in die Wiege gelegt und lassen den Nachwuchs schon als Kind taufen, von wegen Bekenntnisakt.
Immer wieder ist von Mitteln gegen Haarausfall zu lesen, auch von Haartransplantationen und so. Vielleicht funktioniert sowas ja irgendwann. Ob das Auswirkungen auf die Religion haben wird, bleibt abzuwarten.
Hinterlasse eine Antwort zu Uli Burgwinkel Antwort abbrechen