Ich weiß, Weihachten ist vorbei. Ich bin aber immer noch geschockt und muss hier mal was loswerden.
Eine Glosse von Gerald Beyrodt
Manche Leute meinen, Religion sei Privatsache. Da könnte man auf die Idee kommen, auch Weihnachtsbäume seien Privatsache. Aber weit gefehlt. Dieselben Menschen, die Religion für Privatsache halten, sind besonders gnadenlos im Weihnachtsbäume-Herzeigen.
Ich habe überhaupt nichts dagegen dasss sich Menschen Weihnachtsbäume hinstellen. Das mag gemütlich oder besinnlich oder was auch immer wirken. Ich verstehe diesen Brauch nicht bis ins Letzte (Was haben jetzt Bäume mit Jesus Christus zu tun? Hatten Maria und Joseph auch schon so’n Ding? Betet man da noch irgendeinen Fichtengott an, von dem ich nichts weiß?), aber ich muss ihn auch nicht bis in Letzte verstehen. Was sich jemand in sein Wohnzimmer stellt, ist nicht meine Sache. Aber es werden Weihnachtsbäume gepostet, dass sich die Dielen biegen: auf Insta, auf Whatsapp, auf Facebook. Überall Weihnachtsgrüße verbunden mit dem Blick ins Allerheiligste, den Weihnachtsbaum.
Vor allem drücken diese Bilder Besitzerstolz aus. Unser hat dieses Jahr weiße Kugeln. Wir haben viel Lametta. Wir haben gar kein Lametta. Wir haben weinrote Kugeln. Wir haben Ton in Ton dieses Jahr. Oft kommen diese Baum-Pics ohne jegliche Ansicht ihrer Besitzerinnen und Besitzer. Mich würde doch interessieren, wie es den Bekannten geht, nicht, was für Bäume sie haben. Aber vielleicht ist in ihren Augen das eigene Wohlbefinden identisch mit dem Besitz eines möglichst stattlichen Weihnachtsbaumes. Seht her, was wir dieses Jahr ergattert haben, trotz all des Stresses!
Das Herzeigen des Baumes durchbricht die familiäre Intimität. Aber offenbar ist der Baum erst dann so richtig schön, wenn sich andere darüber anerkennend geäußert haben.
Ich finde jemand sollte mal die strukturelle Ähnlichkeit zwischen dem Herzeigen von Weihnachtsbäumen und dem Verschicken von Dickpics erforschen. In beiden Fällen wird der Bereich des mit recht Privaten entprivatisiert, wäre jetzt mal meine Arbeitshypothese. Irgendein kulturwissenschaftliches Institut wird doch wohl Kapazitäten haben. Ich kann das leider nicht erforschen. Ich erforsche schon was anderes.

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