In der Karawane

Avatar von jakob68


Eine Stunde lang war ich Teil der deutschen Leitkultur. Es ging ganz einfach. Und es war eine erhebende Erfahrung.

Eine Glosse von Gerald Beyrodt

Gestern ist es passiert. Ich habe am Schabbat eingekauft. Natürlich regte sich mein jüdisches schlechtes Gewissen. Ich versuche immer, den Weg in die Geschäfte am Samstag zu vermeiden. Diesmal ging es nicht anders. Vorher nicht geschafft, der Kühlschrank leer, sonntags Geschäfte zu, es musste sein.

Und plötzlich war ich Teil von etwas Größerem, Teil einer riesigen Karawane, die in die einzelnen Geschäfte und dann an die einzelnen Regale, Kühlschränke und Theken zog. Und mir fiel auf: Ich tat das, was die gute Deutsche oder der gute Deutsche am Samstag so tut. Einkaufen. Nächster Gedanke: Ich bin jetzt Leitkultur, wenigstens eine Stunde lang. Es war ein erhebendes Gefühl.

Allerdings bestehen Karawanen aus Kamelen. Ob sich Kamele mit anderen Kamelen andauernd in die Quere kommen, weiß ich nicht. Vermutlich hat so eine Karawane irgendeine Ordnung. Das kann ich vom gestrigen Einkaufspulk nicht wirklich behaupten. Ständig kam ich mir mit anderen Einkaufenden in die Quere. Wenn alle einkaufen, steht halt öfter mal jemand vor den Paprika, an die du gerade willst, oder dem Joghurt, den du anvisierst.

Und plötzlich wurde mir der Sinn des Schabbat klar. Einkaufen am Schabbat ist verboten, weil die Geschäfte einfach zu voll sind. Am siebten Tag ruhte Gott, weil alle anderen einkaufen.


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