Das Gift der warmen Worte

Avatar von jakob68


Sie sagen „Gespräch“ und „Dialog“ und „Trialog“. Sie sagen „Miteinander“ und „Familie“. Wenn das Gespräch zwischen Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher Religionen schlecht läuft, dann besteht es vor allem aus warmen Worten. Ich finde das gefährlich.

Eine Kolumne von Gerald Beyrodt

Die Worte Gespräch und Dialog haben so einen hehren Klang. Wer in einen Dialog eintritt, kann kein schlechter Mensch sein, scheint es. Wer mit seinem Gegenüber spricht, kann sich moralisch auf der sicheren Seite fühlen. Aber es bleibt nicht beim Dialog. Im Bereich der Religionen gibt es es auch noch den Trialog. Da schon Dialog ein Hochwertwort ist, ist Trialog ein Hoch-Hochwertwort.

Aber ist Miteinander-Sprechen wirklich immer gut? Sind Reden schon eine Leistung? Sind viele Worte schon ein moralischer Wert? Als Jüdinnen und Juden haben wir genug Erfahrungen mit Sonntagsreden, mit „Nie wieder“, mit den Sprüchen von dem, was auf deutschem Boden auf keinen Fall geschehen dürfe und was man auf keinen Fall dulden würde. Meistens handelt es sich um Taten, die man gerade geduldet hat.

Solche Floskeln dienen dazu, dass sich Würdenträger beweihräuchern und dass sich die Gesellschaft gut fühlen kann. Zur Sicherheit von Jüdinnen und Juden tragen sie überhaupt nicht bei. Sie sind sogar schädlich. Denn sie verbreiten den Eindruck, man täte was, wenn doch eigentlich Stillstand herrscht. Wer Dialoge pflegt, muss nicht unbedingt ein guter Mensch sein. Er oder sie kann auch ein Phrasendrescher sein.

Leider werfen interreligiöse Dialoge, Trialoge und, wer weiß, vielleicht auch Quatrologe und Quintologe viele Probleme auf. Zu hören sind Sätze wie: „Wir glauben alle an den einen.“ Aha. Auch gerne genommen: „Alle Religionen wollen Frieden.“ Aha. Noch getoppt von: „Wir sind alle für Toleranz.“ Oder: „Wir sind eine große Familie.“

Man fragt sich, warum es gut ist, wenn alle das gleiche glauben, ob die Religionen wirklich so tolerant sind, und was zum Beispiel 2000 Jahre Christentum und knapp 1500 Jahre Islam für Frieden und Toleranz so gebracht haben. Auch beim Judentum kann und soll man das fragen, allerdings ist die Zahl der jüdischen Weltreiche in den letzten Jahrtausenden doch recht übersichtlich.

Schlimmer noch als der Inhalt der Behauptungen von einer Familie, von Frieden und Toleranz ist ihr Sound. Der nämlich verbreitet den Eindruck, es sei alles gut, dass „wir“, wer immer das nun sein mag, eine große Gemeinschaft seien, die füreinander einsteht. Das ist aber keineswegs gesagt. Würden uns die Christen und Muslime, mit denen wir Dialog oder Trialog oder sonst einen -log treiben, schützen, wenn es drauf ankommt? Keineswegs gesagt.

Als Jüdinnen und Juden müssen wir häufig damit leben, dass sich Menschen mit uns schmücken. Die Phrase „Ich habe viele jüdische Freunde“ kommt gerne, bevor oder nachdem jemand etwas Antisemitisches sagt. Sicher, es ist schwer zu verhindern, dass uns Menschen als Freunde bezeichnen, die es nicht sind. Aber wir sollten unsere Freundinnen und Freunde sorgsam auswählen.

Wenn Gespräche einen Sinn haben sollen, dann müssen diejenigen, die sprechen, sie auf ihre Substanz untersuchen. Was überhaupt können wir klären, wenn wir reden? Für wen stehen wir? Für welche Gruppe schütteln wir uns die Hand, wenn wir Hände schütteln? Wer verbalen Nebel verbreitet, handelt fahrlässig. Warme Worte sind nicht unschuldig. Sie täuschen etwas vor, was nicht ist. Sie sind giftiger als Arsen.


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