Eine Satire von Gerald Beyrodt
Natürlich ist nichts passiert.Skandale gibt es anderswo, nicht bei uns. Sexuelle Belästigung gibt es anderswo, aber nicht bei uns in der liberalen Welt. Machtmissbrauch gibt es anderswo, nicht bei uns.
Zwar hat der Chef des Abraham-Geiger-Kollegs ziemlich viele Ämter und Verbindungen gehabt, aber das war doch zu unser aller Besten. Genauso wie Gott ziemlich viele Ämter hat.
Wir haben die Diskussion auf Augenhöhe erfunden, wir sind die die Verfechterinnen und Verfechter der Geschlechtergleichberechtigung und queerer Freiheit und der modernen Zeit. Da kann es nicht sein, dass an einer Ausbildungsinstitution ein autoritärer Wind geherrscht hätte.
Und wenn doch, wäre das auch nicht so schlimm. Aus untertänigen Studierenden würden flugs frei denkende und emanzipiert handelnde Rabbinerinnen und Rabbiner werden. Unsere Gemeinden betrifft das nicht. Nein, auf keinen Fall.
Wir reden zwar viel von der kritischen Reflexion, aber das betrifft selbstverständlich nicht uns selbst.
Mit den angeblichen Opfern haben wir kein Mitleid, denn es gibt ja keine Opfer, kann es ja nicht geben. Berlin und Potsdam sind außerdem weit weg. Und wenn wir in Berlin oder Potsdam sind, ist das Geschehene trotzdem weit weg.
Natürlich ist nichts passiert. Kann ja gar nicht. Und wenn etwas passiert wäre, würden wir großzügig drüber hinweg blicken. Weil wir so liberal sind und so großzügig und so gut.
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