Wenn Liebe, Religion und die ganze Welt in einem einzigen Satz vorkommen, bin ich irgendwie blockiert. Warum, das habe ich vor einigen Jahren in dieser Glosse erzählt.
Von Gerald Beyrodt
Ganz ehrlich, Leute: Ich hab’s nicht so mit der Liebe. Also privat ist alles paletti, danke der Nachfrage. Aber mit der weltumspannenden Liebe, der, bei der alle Menschen Brüder Schrägstrich Schwestern Schrägstrich Geschwister werden, die Tiere nicht zu vergessen und wo bleiben die Pflanzen und hat das Wasser gar kein Recht geliebt zu werden…, mit der großen menschheitsrettenden, weltrettenden Liebe habe ich es nicht so.
Neulich sagte eine Kollegin auf die Frage nach ihrer Religion, sie wolle mehr Liebe in die Welt bringen. Wenn Liebe, Religion und die ganze Welt in einem einzigen Satz vorkommen, bin ich irgendwie blockiert.
Wahrscheinlich liegt es daran, dass Liebe ein Gefühl ist. Ich habe nichts gegen Gefühle. Ich hatte selber schon häufiger welche. Aber man fühlt mal so, mal so. Gefühle schwanken, kommen und gehen. Und deshalb würde ich davon lieber nicht die Zukunft der Welt abhängig machen. Ich finde es auch viel verlangt, dass mich Leute, die mich gar nicht kennen, lieben sollen. Ich finde es auch ehrlich gesagt ein bisschen distanzlos.
Der Schlager sagt: „Kann denn Liebe Sünde sein?“ Die Frage ist rhetorisch, und alle Welt ist der Meinung, Recht zu haben, wenn sie sich auf die Liebe berufen. Doch ich frage mich: Sind die Missbrauchtäter auch noch der Meinung mehr Liebe in die Welt zu bringen. Oder die Stalkerinnen und Stalker? Das Wort Liebe ist so schrecklich diffus. Kann denn Liebe Sünde sein? Ich würde mal sagen: „Kommt drauf an, was man drunter versteht.“
Die Kollegin hat ja recht, die Religionen reden ziemlich von viel der Liebe. Dafür streuen sie allerdings ziemlich viel Hass. Vermutlich, weil man nicht tagein, tagaus lieben kann. Außerdem gilt in der Religion das Prinzip: „Und willst Du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich dir den Schädel ein.“ Das Wort Bruder in diesem Satz kann man/frau/divers gerne gendern.
Trotzdem sind die Religionen erfreulich nüchtern, was die Liebe angeht. Christentum und Judentum meinen mit Nächstenliebe gar nicht mal das große Gefühl. Es geht darum im richtigen Moment, das richtige zu tun. Anderen zu helfen, wenn die gerade in Not sind, schwierig genug.
Gut gefällt mir der Pitch von Hillel dem Älteren, etwa eine Generation vor Jesus. Damals sagte man noch nicht pitchen. Aber ein Konvertit forderte Hillel auf, die ganze Tora zu erklären, während er, der Konvetit, auf einem Bein stehen konnte. Also doch ein Pitch.
Die Antwort von Hillel: „Was dir nicht lieb ist, das tue auch deinem Nächsten nicht; das ist die ganze Tora, alles Andere ist nur die Erläuterung, gehe hin und lerne sie.“ Anderen nicht tun, was man selbst nicht mag: Darauf kann man sich doch einigen, würde ich mal sagen. Und wer mir noch mal mit Liebe und weltrettenden Gefühlen kommt, kann mich mal gernhaben.

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