Mein Brief habe sie „betroffen“ gemacht, schreibt sie. Naika Foroutan hat mir geantwortet. Sie findet aber auch, ich würde „propalästinensiche“ Proteste mit rechtsextremen „gleichsetzen“. Das sei „zutiefst dehumanisierend“.
Vonm Naika Foroutan
Lieber Herr Beyrodt,
vielen Dank für Ihre Mail, die mich sehr betroffen macht.
Sie haben an sehr vielen Punkten Recht und ich kann mich Ihnen vielleicht nur aus der Situation einer Eskalation erklären.
Der Brief war nicht abgestimmt und ich war auch nicht in der Gruppe, die ihn initiiert hat. Er hat große Lücken und Flaws und auch wenn es für Sie jetzt unglaubwürdig klingen mag – er ist in einer Situation entstanden, als alles auf dem Campus bereits eskalierte und nicht vorher. Hätte es Zeit gegeben und eine koordinierte Gruppe, wäre dieser Brief nicht in dieser Form geschrieben worden
ALLE die Punkte, die Sie nennen sind richtig – aber ihre Folgerungen daraus sind es nicht. Ich kann sie mir erklären aus einem tiefen Moment des Mißtrauens, das ich emotional nachempfinden kann – aber nicht teile.
Es entschuldigt die Leerstellen nicht, aber vielleicht hilft es zu verstehen, dass in einer Situation in der Polizei teilweise sehr brutal auf junge Menschen losgeht, ein Reflex ensteht – besonders wenn sie sich auch noch als Lehrerin oder Professorin für die Studierenden zuständig fühlen. Dann kann man nicht mehr abwägen, sondern es war eine sehr schnelle, für mich in dem Moment dringende Intervention.
Es ist psychologisch schwer zu erklären, aber auf Ihre Frage: selbst wenn es Studierende gewesen wären, die N-Wörter gerufen hätten oder antimuslimische Parolen oder sexistische oder migrationsfeindliche Hetze – wenn die Polizei auf sie losgegangen wäre, hätte ich sie im ersten Reflex genauso verteidigt. Danach hätte ich wahrscheinlich gedacht, warum habe ich ein Statement unterschrieben, das nicht besser durchdacht war? Aber in dem Moment ist das Gefühl zu intervenieren, Platz zu schaffen, die Studis – auch wenn es rechtsextremistische wären – rauszuholen erst mal sehr dominant. Ich weiß, das ist vielleicht keine gute Erklärung – aber ich will es Ihnen wenigstens gesagt haben. Und ich will auch sagen, dass ich die Gleichsetzung von propalästinensischen Protesten mit rechtsextremistischen nicht nachvollziehbar und zutiefst dehumanisierend finde, in Anbetracht der täglichen Grauen.
Ich habe gerade einen Text beim Tagesspiegel eingereicht, der vieles aufnimmt: die Angst der Jüdischen Studierenden, vebotene Parolen, kontinuierlicher Antisemitismus – aber auch unsere Rolle als Lehrende in zukünftigen Protesten.
Der Text wird ihnen wahrscheinlich trotzdem nicht gefallen. Er ist aus pro-palästinensischen Perspektive geschrieben. Das wissen Sie ja. In einem solchen existentiellen Moment wie diesem Krieg ist es schwer neutral zu sein. Als Wissenschaftlerin muss man analytisch sein – aber als Konfliktforscherin muss man auch empathisch sein und das wichtigste ist: man muss das Leid der jüdischen Menschen, das Trauma nach dem 07. Oktober, die Angst der jüdischen Studierenden und das Gefühl allein zu sein FÜHLEN können! Genauso wie den Schmerz, der palästinensischen Studierenden. Auch wenn beides nicht immer gleichzeitig möglich sein mag, kann Empathie zu unterschiedlichen Zeiten tief abgerufen werden.
Ich denke auch, dass diese Stimme im Diskurs gerade nicht wirklich da ist: auf der Seite der Befreiung Palästinas von der Besatzung und von Hamas zu stehen und gleichzeitig zu keinem Zeitpunkt aus den Augen zu verlieren, was für eine Bestialität am 07 Oktober geschah!
Die Augen auf das zu lenken, was gerade in Israel und Palästina passiert und möglicherweise Allianzen zu schmieden – auch wenn man aus gänzlich unterschiedlichen Positionen kommt und diese sich auch nicht zusammenfinden müssen – das wären meiner Meinung nach die nächsten Schritte.
Wir beide werden immer in der Einschätzung des Konfliktes auf unterschiedlichen Seiten stehen. Aber in der Einschätzung des Leids, sollten wir für beide Seiten fühlen.
Ich habe Ihnen jetzt einfach sehr aus dem Bauch geantwortet. Vielleicht ergibt sich ja ein Moment, an dem wir das vertiefen können.
ganz herzliche Grüsse
Naika Foroutan
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