Täglich werden es mehr: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in einem offenen Brief, die gegen die Räumung gegen antiisraelische (und möglicherweise antisemitische) Besetzung in der FU protestieren. Aus meiner Sicht besonders auffällig: Wie empathielos gegenüber Jüdinnen und Juden und argumentativ schwach der Brief ist. Ich habe der MIgrationswissenschftlerin Naika Foroutan zurückgeschrieben. Dokument einer Enttäuschung.
Von Gerald Beyrodt
Liebe Frau Foroutan,
vielleicht erinnern Sie sich an mich. Wir haben uns nach Ihrer Präsentation beim (…) in Köln unterhalten über Israel und den damals anfangenden Gazakrieg. Ich habe Ihnen damals erzählt, dass die Raketen, die in Tel Aviv einschlagen, für mich eine Nähe haben, wie wenn am Kölner Neumarkt Raketen einschlagen. Sie haben mir damals sinngemäß gesagt, dass gerade solche persönlichen Perspektiven wichtig für die Diskussion seien.
Jetzt lese ich von Ihrer Unterschrift unter diesem offenen Brief zugunsten der so genannten Studierendenproteste. Ihre Unterschrift verursacht bei mir Fragezeichen.
Sie argumentieren in dem Schreiben, Diskussionsräume müssten offen gehalten werden, die Meinungsfreiheit müsse geachtet werden, auf keinen Fall solle es Strafanzeigen geben. Sie heben hervor, welch hohes Gut die Meinungsfreiheit ist. Es fällt allerdings auf, dass Sie in diesem Schreiben mit dem Grundgesetz und den Menschenrechten sehr selektiv umgehen. Meinungsfreiheit machen Sie stark. Das Grundgesetz kennt auch den Gedanken, dass alle Menschen vor Diskriminierungen geschützt werden sollen.
Der ist Ihnen in Ihrem Schreiben nicht der Erwähnung wert. Die Frage, wie man die Meinungsfreiheit gegen die Freiheit von Diskriminierungen abwägen kann, sie kommt nicht vor. Das Grundgesetz scheint den Verfasserinnen und Verfassern dieses Schreibens nur wichtig zu sein, wo es Ihnen in den Kram passt. Das ist aber nicht die Idee von Grundrechten. Sie gelten nicht selektiv, sondern in ihrer Gänze.
Interessant ist überhaupt, welche Worte und welche Themen in Ihrem Brief nicht vorkommen. Die Situation der jüdischen Studierenden kommt nicht vor. Antisemitismus kommt nicht vor. Hass kommt nicht vor, Hetze kommt nicht vor, Gewalt kommt nur auf Seiten der Polizei vor, die Gegenseite ist offenbar eine Ausgeburt der Friedlichkeit, verbale Gewalt fehlt gänzlich. Dass es an der FU bereits Gewalttaten gegen Juden gegeben hat – nicht eines Gedankens wert.
Aus meiner Sicht erleben wir im Moment eine Welle des verbalen und des tätlichen Antisemitismus. Wir erleben eine Welle von Hassrede. Antisemitische Äußerungen sind nur notdürftig verschleiert. Bei den so genannten Studierendenprotesten an der Columbia sagte ein Anführer: „Zionists don’t deserve to live.https://www.nytimes.com/2024/04/26/nyregion/columbia-student-protest-zionism.html
Man kann in dieser Äußerung Zionisten durch Juden ersetzen. Dieser Satz ist ein Aufruf zum Mord. Für den Fall, dass das nicht jedem und jeder klar ist, legt der entsprechende Rädelsführer nach: „And so, yes, I feel very comfortable, very comfortable, calling for those people to die.“ Diese Äußerungen stammen aus den USA, sicherlich, aber im Moment geht es gerade darum, diese Campusbesetzungen aus den USA nach Deutschland zu bringen, den Hass an deutsche Unis zu tragen.
Die Äußerungen, die ich in Deutschland erlebe, sind nicht viel besser. Bei einer Anti-Israel-Demo in Aachen habe ich mit eigenen Ohren gehört, wie ein Redner den Karlspreisträger Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt als Verbrecher bezeichnet hat. Welches Verbrechen der Mann, der weder in der israelischen Armee noch in der Regierung noch im Geheimdienst eine Position hat, begangen haben soll, wurde nicht gesagt.
Aber was repräsentiert ein Oberrabbiner? Das Judentum. Pinchas Goldschmidt „Verbrechen“ war wohl, Jude zu sein. Aus meinen persönlichen Beobachtungen und den Medienberichten schließe ich: Der Antisemitismus ist bei den sogenannten propalästinensischen Demonstrationen ein wiederkehrendes Problem.
Ich muss Ihrem Schreiben entnehmen, dass Antisemitismus als Problem keiner Erwähnung und schon gar keiner längeren Überlegung wert ist. Das Wort taucht nicht auf. Es taucht auch nicht der Gedanke auf, wie man den Hass eindämmen kann. All dies sind Fragen, die sich in dieser Situation stellen. Aber die aktuelle Situation mit ihren Fragen und Problemen abstrahieren Sie so lange weg, bis sie im gedanklichen Nebel verschwindet.
Der Gedanke an Grenzen, die man den Hasserinnen und Antisemiten setzen muss, taucht in Ihrem Schreiben nur sehr vage auf. Die Universitätsleitung müsse „so lange wie nur möglich“ auf eine gewaltfreie Lösung setzen. Nur in dieser adverbialen Bestimmung „so lange wie nur möglich“ erkennen Sie an, dass es möglicherweise Situationen gibt, in denen man dem Hass eine Grenze setzen muss. Doch in welchen Situationen das sein könnte, bleibt vage und wolkig.
Sie schreiben, dass es nicht sein könne, dass man die eigenen Studierenden polizeilich entfernen lässt. Ich habe eine kurze Rückfrage. Von wie vielen der Protestierenden und Krawallmacher haben Sie sich den Studierendenausweis zeigen lassen? Ich halte es für durchaus nicht sicher, dass das alles Studenten sind, schon gar nicht FU-Studierende. Mindestens in Köln wurden auch explizit Nicht-Studierende zum Anti-Israel-Protest aufgefordert.
Die massiven Anfeindungen, denen Jüdinnen und Juden im Moment ausgesetzt sind, sie bleiben unerwähnt, und Sie spielen auch gedanklich in Ihrem Schreiben keine Rolle. Ich finde Ihren offenen Brief empathielos gegenüber Jüdinnen und Juden und gegenüber dem Problem des Antisemitismus.
Oberflächlich kann man Ihr Schreiben als Aufruf zur Toleranz lesen. Toleranz bedeutet: Unbequemes ertragen müssen. Die Toleranz ist in Ihrem Fall aber sehr bequem, weil andere es für Sie ertragen müssen – namentlich Jüdinnen und Juden.
Die Frage von Philipp Peyman Engel finde ich sehr berechtigt, liebe Frau Foroutan: Würden Sie so reden und schreiben, wenn es um rechtsradikale Proteste auf dem Campus ginge? Ich möchte hinzusetzen: Würden Sie so reden und schreiben, wenn N- und Z-Wörter skandiert würden, wenn rassistische, misogyne oder homophobe Begriffe durch die Luft fliegen würden?
Ich hoffe auf ein Nein. Aber warum reden Sie dann so, wenn es um Juden geht? Ich muss Ihrem Schreiben entnehmen: „Juden zählen nicht.“ So heißt ein Buch, das ich Ihnen dringend empfehlen möchte.
Interessant ist der Umgang mit rechtlichen Fragen in dem Schreiben. Sie berufen sich darauf, dass öffentliche Proteste nicht gegen das Hausrecht verstoßen würden, weil Universitäten öffentliche Orte seien. Das heißt: Das Recht ist eine wichtige Kategorie für Sie. Aber: Anzeigen soll es nicht geben, genauso wenig polizeiliches Einschreiten, das Sie pauschal als „Polizeigewalt“ abstempeln. Im Klartext: Die Demonstrierenden seien im Recht, behaupten Sie. Aber ob das wirklich stimmt, soll nicht gerichtlich untersucht werden. Das Recht ist den Verfasserinnen und Verfassern dieses Schreibens nur so lange wichtig, wie es ihnen in den Kram passt.
Ich muss Ihren offenen Brief als Dokument der Empathielosigkeit und der Ignoranz auffassen. Ignoranz ist die Vorstufe des Hasses und macht ihn möglich.
Ich muss sagen, dass ich von Ihnen persönlich, moralisch und intellektuell enttäuscht bin.
Mit freundlichen Grüßen
Gerald Beyrodt
Naika Foroutan hat meinen Brief beantwortet. Das rechne ich ihr hoch an. Ich habe darum gebeten, Ihre Antwort hier posten zu dürfen. Eine entsprechende Freigabe steht noch aus.
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