Noahs Arche und die Vorräte meiner Eltern

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Von Gerald Beyrodt

Welche Vorräte sollte man im Haus haben? Wie bekommt man die Wohnung warm, wenn Putin das Gas abdreht? Solche Fragen kamen vor zwei Jahren plötzlich auf. Gedanken aus dem Jahr 2022 über die Vorratschränke meiner Eltern und Großeltern, über Noahs Arche. Und über die Angst.

Neulich habe ich im Radio gehört, was man für Notzeiten in der Wohnung haben soll. Genug zu essen für 10 bis 14 Tage, keine frischen Sachen natürlich, sondern Dinge, die sich halten, Knäckebrot und Konserven, und vor allem: Wasser.

Das brauche man zum Trinken, wenn die Leitung versagt. Auch trockene Nudeln hätten ohne Wasser keinen Sinn. Zuerst dachte ich an die Arche Noah, dann an meine Eltern und Großeltern. Ich fragte mich, ob Noah auf seiner Arche auch immer genug Wasser zum Nudelkochen hatte.

Doch dann fiel mir ein, dass zum Nudelkochen auch das Wasser um ihn herum gereicht hätte. Ich habe keine Ahnung, ob Noah auf der Arche Gasflaschen lagerte, um das Nudelwasser zu erhitzen. Und wenn ja, ob er das Gas in Euro oder in Rubel bezahlt hat.

Ich habe mir noch nie Gedanken gemacht, welche Vorräte man für Notzeiten braucht. Für meine Generation war der Gedanke an Notzeiten ungefähr so weit weg wie die Arche Noah. Dabei habe ich andauernd Geschichten von Notzeiten gehört: von meiner Mutter, die in einem jüdischen Kinderheim in England überlebte.

Von meinem nicht jüdischen Vater, der das Kriegsende als Halbwüchsiger in Thüringen erlebte. Erst kamen die Amerikaner, die er in höchsten Tönen lobte, dann kamen die Russen. So nannte er die Sowjets. Ich erinnere mich an die Vorratsschränke. Was mein Vater so einkaufte und einlagerte, hätte sicher für zwei Monate gereicht oder länger. Der Einkauf war für ihn der Höhepunkt der Woche.

Ich erinnere mich an die Einmachgläser meiner Großmutter. Viel genauer als an den Inhalt der Einmachgläser erinnere ich mich an die Aufkleber dazu, die fein säuberlichen Beschriftungen und vor allem an die speziellen Gummibänder . Immer wieder habe ich mich über dieses Aufheben und Einlagern von Lebensmitteln und Gegenständen gewundert, die mir nutzlos erschienen.

Mein Vater war schon zehn Jahre tot, da habe ich versucht, meine Mutter zu bewegen, endlich seine Medikamente wegzuwerfen. Meine Mutter fand, diese Tabletten, lange über das Haltbarkeitsdatum, die eine Krankheit kurieren sollten, die keiner von uns hatte, seien doch noch gut. „Du hast kein Verhältnis zu Werten“, sagte sie zu mir.

Lange habe ich dieses Horten und Sammeln nicht mit den Geschichten von Flucht, Not, Hunger in Verbindung gebracht. Erst in diesen Tagen ist mir klargeworden, wie viel Angst in den Vorratsschränken wohl steckte. Und wie aus der Angst Einmachgläser wurden.


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