Ein Kaffeetrinken, eine Diskussion über die Zehn Gebote und eine Diskussion über die Frage, ob „Du sollst nicht töten“ Rufmord meint. Weitere Frage: Können Menschen nur das verstehen, was aus ihrer Lebenswelt stammt? Eine Glosse aus dem Jahr 2020.
Von Gerald Beyrodt
Neulich habe ich meine Freundin Valentina zum Kaffee getroffen. Valentina ist Pfarrerin oder Pastorin, wie man in Norddeutschland sagt, wo sie lebt, und sie erzählte mir freudestrahlend, dass sie mit den Konfirmanden die Zehn Gebote durchnimmt. Das Gebot „Du sollst nicht töten“ erklärt sie ihnen anhand von übler Nachrede. Per Handy gemobbt werden und in sozialen Netz gemobbt werden – das entspreche der Lebenswelt der Jugendlichen.
„Lebenswelt hin, Lebenswelt her,“ sagte ich, „entspricht es denn auch der Bibel?“ Bei „Du sollst nicht töten“ geht es ganz sicher nicht um Rufmord, auch wenn Rufmord ein Problem sei und man sicher anderswo in der Bibel etwas dazu finden könne. Valentina hielt dagegen: „Geht es wohl. Wer falsche Gerüchte in Umlauf bringt, tötet jemand gesellschaftlich.“
Manchmal komme ich mir etwas besserwisserisch vor. In diesem Fall habe ich gesagt, dass sie es eher mit dem Gebot vom falschen Zeugnis wider den Nächten versuchen sollte und nicht mit dem Tötungsverbot. Echt töten und gesellschaftlich töten etwas anderes sind. Und wer Sahne schlägt, mache sich auch nicht Körperverletzung schuldig.
Ob ich Mobbing ernsthaft mit Kaffee und Kuchen vergleichen wolle, fragte Valentina pikiert zurück, und mir fiel auf, dass das Gespräch aus dem Ruder lief. „Natürlich will ich Mobbing nicht mit Kaffee und Kuchen vergleichen“, lenkte ich ein – und dann ab: Dieser Kaffee und dieser Kuchen sei aber ausgesprochen gut. Wie Valentina denn auf dieses schöne Café gekommen sei?
Valentina biss in den Mohnkuchen, trank einen Schluck Kaffee, und ich atmete schon innerlich auf, und dachte „Du sollst nicht töten“ sei vom Tisch. Doch jetzt ließ Valentina nicht locker. Zum Glück, sagte sie, lebten die Konfirmanden nicht in einer Lebenswelt, wo Töten zum Alltag gehört. „Ja, zum Glück, da hast du recht,“ sagte ich. „
Aber meinst du wirklich, dass die Konfirmanden nur verstehen, was sie auch aus dem Alltag kennen?“ Irgendwann würden sie doch mal Nachrichten hören oder lesen. Und Töten komme schließlich auch in jedem Krimi vor.
Dummerweise sagte ich auch noch, es sei infantilisierend anzunehmen, dass Konfirmanden nicht wissen, was Töten ist. „Aber es sind Infanten“, sagte Valentina. Und ich dachte, es gehe bei der Konfirmation ums Erwachsenwerden. Das sei graue Theorie, sagte Valentina, es gehe bei der Konfirmation um die Geschenke, und von welchem Planeten ich denn komme.
Vielleicht bin ich wirklich von einem anderen Planeten. Vielleicht bin ich ein gottverdammter Bildungsbürger. Aber ich frage mich, was das für eine Kirche ist, die nur noch dann von ihren Inhalten spricht, wenn sie in die Lebenswelt des Gegenübers passen, und an Äpfeln so lange schnippelt, bis sie aussehen wie kleine Birnen.
Wo wir bei Äpfeln und Birnen sind: Meine eigenen Vergleiche schnitten im Nachhinein auch nicht so dolle ab. Rufmord verhält sich nicht zu Mord wie Sahneschlagen zu Körperverletzung.
Es ist ja gut, dass Valentina mit den Konfirmanden über Mobbingerfahrungen spricht. Mein Einwurf mit dem Sahneschlagen war möglicherweise ein kleines bisschen polemisch und und ein ganz klein wenig unpassend. Passiert mir manchmal, wenn ich mich ärgere. Ob irgend ein biblisches Gebot hinkende Vergleiche verbietet, weiß ich jetzt nicht, aber ich werde sie beim nächsten Kaffeetrinken dringend vermeiden.

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