Religion im Fitnessstudio

Avatar von jakob68

Hände falten und gut ist: So einfach wie in der Kirche haben es Jüdinnen und Juden nicht. Judentum setzt Kraft und Geschicklichkeit voraus. Und ich bin manchmal echt von der Rolle.

Von Gerald Beyrodt

(März 2023)

Aus der Rückenlage heraus Beine und Arme vom Boden abheben, Arme und Beine strecken und beides zusammenziehen. Die Übung habe ich neulich im Fitnessstudio gelernt. Sie heißt Crucifix Crunch, Kruzifix Knirsch. Bitte nicht nach meiner Beschreibung nachturnen, ich übernehme keinerlei Verantwortung, wenn es beim Nachturnen knirscht. Trainingspartnerin Petra hat zu mir gesagt: „Wieso muten sie dir als Juden den Cruzifix- Crunch zu?“ „Gute Frage“, dachte ich, „nur sind Sportübungen die Cruzifix Crunch heißen, nicht eher eine Zumutung für gläubige Christen?“ Passionsgeschichte als Teil des Trainingsplans und nicht des Heilplans: Hallo? Kommt vielleicht demnächst noch eine Übung mit Kruzifix-Nägeln? Oder mit Dornenkrone? Dem jungen Trainer Tom, der die Cruncherei erklärt hat, sind offenbar keine religiösen Bezüge aufgefallen, er war da völlig ungeniert.

Yoga gibt es im Fitnessstudio, aber Christentum und Judentum?

Sehr viel Christentum kommt im Fitnessstudio nicht vor. Yoga andauernd und damit Hinduismus und Buddhismus. Aber Christentum? Bis auf den Crucifix Crunch weitgehend Fehlanzeige. Dabei würde es sich doch anbieten, einfach mal im Gruppentraining übers Wasser zu gehen wie seinerzeit Jesus. Geht natürlich nur in Fitnessstudios mit Schwimmbecken. Auch gemeinsame Himmelfahrten wären ein tolles Bewegungstraining, aber leider, leider gibt es sie nicht. Auch Judentum kam bis vor kurzem kaum in der Fitnesswelt vor. Das habe ich jetzt geändert.

Was das für Muskelgruppen aktiviert!

Das kam so. Männer werden in der Synagoge häufig gebeten, die Torarolle hochzuheben. Somit werde auch ich ab und an gebeten, und das bei meiner Geschicklichkeit. Der Vorgang kann schwierig sein. Denn es handelt sich um eine aufgeschlagene große Pergamentrolle. Jeder soll die Buchstaben sehen können in der Gemeinde. Wenn man gerade eine Lesung aus der Schöpfungsgeschichte hinter sich hat, lastet fast das ganze Gewicht auf dem linken Arm, wenn die Israeliten kurz vor dem gelobten Land sind, auf dem rechten Arm. Und dann kommt es auf Beckenspannung an und darauf, genug in die Knie zu gehen. Ich habe neulich Trainer Tom den Vorgang erklärt und die Probleme, die ich damit habe. Er war begeistert. Wie gut das für die Koordination sei und was das für Muskelgruppen aktivieren würde. Dann hat mir Trainer Tom mit mir die Situation nachgestellt: ein Block statt der jüdischen Bima und zwei Trainingsrollen, statt der beiden Teile der Schriftrolle. Pergamentrollen hatten sie nicht im Fitnessstudio. Ich habe keine Ahnung, warum nicht.


Hinterlasse einen Kommentar