Bärte, Kippas und Hüte, so weit das Auge blickt. Die Bilder von Jüdinnen, Juden und Judentum in deutschen Medien geraten oft erstaunlich stereotyp.
Von Gerald Beyrodt
Das Bild ist in keiner deutschen Zeitung zu finden, auch in keiner Bilderdatenbank für Medienvertreter. Es ist nur in meinem Kopf zu finden. Ich sehe noch, wie die orthodoxe Frau schnellen Schrittes durch die Nissim-Bachar-Straße in Jerusalem eilte. Sie trug Perücke, ein weiß glänzendes Kleid zum Schabbat, das züchtig unter den Knien endete, und selbstverständlich blickdichte Strumpfhosen. Als sie so durch die Straße eilte, zerplatzte vor ihrem Mund eine Kaugummiblase und zerstörte den damenhaften Eindruck.
In Bilddatenbanken zerplatzt kein Kaugummi vor orthodoxen Frauen. Da zerplatzen keine damenhaften Eindrücke und keine Illusion vom Judentum. Da muss man sich entscheiden: entweder orthodox und züchtig oder Kaugummi. Beides geht nicht zusammen. Orthodoxe sind in der Regel männlich und aus der Steinzeit. Das erkennt man an schwarzen Hüten, Schläfenlocken, Bärten und dunklen Anzügen. Du sollst dir kein Bildnis machen, heißt es schon in Bibel. Zusatz von heute: Wenn du dir doch ein Bildnis machst, mach dir eines mit Bart.
Orthodoxe Juden dürfen auf keinen Fall Kaugummis kauen, mit dem Smartphone surfen oder lebensfroh sein. Das brächte die Internetnutzer und Zeitungsleser durcheinander, denken sich die Medienmacher. Leben besteht aus scheinbaren oder tatsächlichen Widersprüchen und Inkonsequzen: aus Diät-Vorsätzen und Schokoriegeln,Wunschträumen und Sachzwängen, Sex-Fantasien und Steuerquittungen, Schabbatkleidern und Kaugummiblasen. Die meisten Menschen sind in dem, was sie tun, weder schwarz noch weiß, sondern irgendwas zwischendrin. Aber Juden sollen nicht zwischendrin sein, das ist alles zu komplex.
Wahrscheinlich sagen die Fotografen vor dem Foto zu den Orthodoxen: „Jetzt steckt mal schön die Smartphones weg, bitte nicht so freundlich, das wollen die Deutschen nicht. Und bitte kuckt doch bitte noch etwas orthodoxer.“ Dann denken sich die Orthodoxen: „O je, die armen Deutschen, die mussten schon den Holocaust verdauen, da wollen wir sie nicht noch mit Smartphones belasten.“
Auf eine Weise haben es die Orthodoxen noch gut auf den Fotos in Deutschland, denn sie dürfen das Judentum repräsentieren. Liberale oder säkulare Juden dürfen nur in Ausnahmefällen auf die Fotos. Denn wie soll man sie als Juden erkennen? Und dass Juden erkennbar sind, kann man ja wohl verlangen, sonst hätten die Bilder keinen Sinn. Und unterscheidbar sollten sie sein, am besten religiös aussehen, mit Kippa oder so.
Wo kämen wir denn hin, wenn sie so religiös, fromm, unfromm und in Religionsdingen ahnungslos wären wie alle anderen auch? Wenn sie mit ähnlichen Sorgen und Nöten zu tun hätten, wie alle anderen auch? Wenn die Klischees zerplatzten wie die Kaugummiblasen? Das geht nicht. Denn eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als eine Jüdin mit Kaugummi in eine Bilddatenbank.
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